Die GWUP: Zwischen Wissenschaft und Ideologie

Jahrzehntelang setzte sich die GWUP für wissenschaftliches, kritisches Denken ein. Mit Freude engagierte ich mich für diesen Verein. Nun bin ich ausgetreten.


Auf der ganzen Welt gibt es Leute, die sich für ein wissenschaftlich-aufgeklärtes Weltbild einsetzen, gegen Esoterik und Verschwörungstheorien auftreten und mit viel Aufklärungsarbeit moderne Mythen entkräften. International sind sie oft als „Skeptics“ bekannt, im deutschen Sprachraum sind Skeptiker und Skeptikerinnen im Verein GWUP organisiert – der „Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften.“

Ich stieß Anfang der 2000erjahre zu diesem Verein – genauer gesagt zur Wiener Regionalgruppe der GWUP. Mir war die inhaltliche Ausrichtung des Vereins sofort sympathisch: Da gab es Leute, die über unterschiedlichste Themen aufklärten, von magischen Heilkristallen bis hin zu wundersamem „belebten Wasser“. Es ging darum, skrupellosen Geschäftemachern das Handwerk zu legen, die wirkungslose Wunderheilungen anbieten, obwohl ihre Kundschaft dringend ärztliche Behandlung bräuchte. Es ging darum, Menschen zu helfen, denen irrationale Ängste eingeredet werden – Ängste etwa vor geheimnisvollen Strahlungen, die es gar nicht gibt, vor üblen Geheimorganisationen, die angeblich die Welt regieren, oder vor übersinnlichen Kräften, die bloß im Kopf eines Gurus zu finden sind.

Damals war die Wiener Regionalgruppe der GWUP noch ein kleines Grüppchen, das in einem Hinterzimmer der TU Wien an einem kleinen Tisch saß. Ich bemühte mich nach Kräften, diesen Verein zu fördern – und tatsächlich wuchs das Grüppchen zu einem stattlichen Verein heran, der einige Jahre später regelmäßig Veranstaltungssäle füllte. Das war freilich nicht mein Verdienst, ich war nur ein kleines Rädchen unter vielen, aber immerhin war ich einige Zeit lang Vizepräsident der Wiener Gruppe und ich war auch einige Jahre lang das österreichische Mitglied im Vorstand der gesamten GWUP. Man kann sich also vorstellen, dass dieser Verein eine gewisse Bedeutung für mich hat – und dass es mir nicht leicht gefallen ist, im Januar 2024 meinen Austritt aus dem Verein zu erklären.

Die GWUP im Kulturkampf

Seit 2022 wurden verstärkt Bestrebungen sichtbar, den Verein inhaltlich umzubauen. Man wolle politischer werden, hieß es, man wolle mit neuen, kontroversen Themen neue Mitglieder anwerben.

Ein Teil der GWUP konzentrierte sich immer stärker auf die Auseinandersetzung zwischen den gesellschaftspolitischen Strömungen „woke“ und „anti-woke“. Plötzlich wurde nicht mehr über naturwissenschaftliche Fakten diskutiert, sondern über Identitätspolitik, über postmoderne Philosophie, über Gendersprache und Cancel Culture. Ein anderer Teil des Vereins (mich eingeschlossen) fand diese Themen unpassend und sah nicht ein, warum sich der Verein in solchen Fragen positionieren sollte. Gleichzeitig gab es im Verein einen Trend zur Befürwortung von Kernkraftwerken, der von manchen als nicht mehr neutral-wissenschaftlich sondern unangenehm ideologisch empfunden wurde.

Zwar wurde 2023 Holm Hümmler als neuer Vorsitzender des Vereins gewählt, der das Bestreben hatte, die GWUP wieder zu alten Themen zurückzuführen, aber das konnte den Zwist im Verein nicht stoppen. Mit der sogenannten „Skeptischen Gesellschaft“ wurde eine Art „Verein im Verein“ gegründet, der speziell darauf fokussiert, sich gegen „Wokeness“ einzusetzen.

Wokeness und Anti-Wokeness

Prinzipiell verstehe ich, warum manche Leute mit viel Emotion über „Wokeness“ oder „Anti-Wokeness“ diskutieren. An beiden Extrempositionen in diesem Konflikt gibt es viel zu kritisieren. Das Wort „woke“ bezeichnete ursprünglich Leute mit besonderer Sensibilität für gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, die sich gegen strukturelle Benachteiligung von Minderheiten einsetzen – auch dort, wo diese Benachteiligung vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Das ist ein lobenswertes, höchst wichtiges Anliegen. Aber jedes wichtige Anliegen kann man natürlich übertreiben, verzerren, und zur moralischen Selbstüberhöhung missbrauchen. Und so wird das Wort „woke“ heute hauptsächlich als abwertender Kampfbegriff benutzt, um Leute zu beschreiben, denen man unterstellt, mit ihrem demonstrativ zur Schau gestellten Einsatz für soziale Gerechtigkeit nicht der Gerechtigkeit zu dienen, sondern bloß der Selbstinszenierung als überlegene moralische Instanz.

Dieser Vorwurf ist manchmal sicherlich berechtigt. Ja, es gibt Leute, die „political correctness“ ins Absurde übertreiben und durch unnötige Skandalisierung zur Spaltung der Gesellschaft beitragen. Ja, es kann anstrengend sein, wenn sich jemand mit erhobenem Zeigefinger als politisch korrekte Sprachpolizei inszeniert. Ja, man kann identitätspolitische Fragen missbrauchen, um die Bevölkerung in Opfer und Täter einzuteilen, ohne irgendjemandem damit zu helfen. Ja, Cancel Culture ist eine reale Gefahr – auch wenn sie von konservativen Kreisen maßlos übertrieben dargestellt wird.

Auf der anderen Seite gibt es aber eine „anti-woke“ Fraktion, die fragwürdige Übertreibungen von „Wokeness“ instrumentalisieren, um jeden Einsatz für gesellschaftliche Fairness schlechtzureden. Man kennt das von Demagogen wie Donald Trump, Vladimir Putin oder Victor Orban: Feminismus, Antirassismus oder Einsatz für die Rechte sexueller Minderheiten werden als Gefahr dargestellt, als Abkehr von einer angeblichen abendländischen Norm, als dekadentes Einknicken des Westens vor einem angeblich so einflussreichen „Kulturmarxismus“.

Innerhalb der GWUP gab es die Forderung, den gesamten Bereich der „Critical Studies“ (ein weites Feld, von Gender-Studies bis hin zu Critical Race Theory) als Pseudowissenschaft zu deklarieren und den Einsatz dagegen als Teil der Vereinsarbeit zu sehen, ähnlich wie den Einsatz gegen esoterische Wunderheilungen oder Verschwörungstheorien. Die Critical Studies, so wurde argumentiert, bezögen sich auf postmoderne Philosophie, und postmoderne Philosophie leugne die Existenz objektiver wissenschaftlicher Wahrheit. Daher seien die „Critical Studies“ insgesamt wissenschaftsfeindlich. Das ist eine naive Übervereinfachung von Critical Studies, die der Realität nicht entspricht.

Ich bin sicher, dass sich auf dem Gebiet der „Critical Studies“ schlechte Wissenschaft findet, dass man dort auf unhaltbare Thesen stößt, auf ideologisch eingefärbte Forschung, die den Kriterien der Wissenschaftlichkeit nicht genügt. Ich bin sofort dabei, wenn es darum geht, solche Fehler ehrlich zu analysieren und aufzudecken. Aber diesen Versuch, „Critical Studies“ und „postmoderne Philosophie“ von vornherein pauschal als pseudowissenschaftlich hinzustellen, halte ich für intellektuelle Faulheit. Das erinnert an radikale Stimmen aus der Umweltbewegung, die „Chemie“ pauschal als „giftig“ bezeichnen, ohne sich fachlich mit der Materie zu befassen.

Seid gerne ideologisch – aber tut nicht so, als sei das wissenschaftlich-rationales Denken!

Ich finde es wichtig, solche Fragen im Spannungsfeld von „Wokeness“ und „Anti-Wokeness“ zu diskutieren. Ich finde aber nicht, dass ein Verein wie die GWUP der richtige Ort dafür ist. In der Skeptikerbewegung geht es um Rationalität und Aufklärung, um Fragen, die man mit naturwissenschaftlichen Methoden klar beantworten kann. Politisch-ideologische Fragen, gesellschaftliche Streitthemen, gehören nicht dazu. In einem Verein, der sich für rationales Denken einsetzt, wird man sich bei solchen Themen nicht einigen können. Und man muss es auch nicht. In einem Verein von Briefmarkensammlern muss man auch nicht klären, wie man zu veganer Ernährung steht.

Ich habe kein Problem damit, wenn sich Leute aus der GWUP zusätzlich zu ihrer Arbeit als Skeptikerinnen und Skeptiker auch mit solchen Themen beschäftigen. Ich habe aber ein Problem damit, wenn das mit dem Anspruch gemacht wird, dabei im Namen der Wissenschaft, der Logik, des kritischen Denkens zu sprechen. Diesen Anspruch kann man erheben, wenn man ganz nüchtern und faktenbasiert die Wirksamkeit von Homöopathie analysiert. Nicht aber, wenn man über Identitätspolitik, Frauen- oder Minderheitenrechte streitet. Die Schlussfolgerung „ich bin ein Anhänger rationalen Denkens und ich habe zu diesem Thema eine klare Meinung – also ist meine Meinung rationales Denken“ ist ein gefährlicher Fehlschluss.

Diese Denkweise scheint in den letzten Jahren weltweit, ganz unabhängig von der GWUP, immer häufiger geworden zu sein: Wissenschaftlich klingende Argumente werden verwendet, um ideologische Überzeugungen zu untermauern. Wenn es gegen Trans- oder Homosexualität gehen soll, werden biologistische Aussagen hervorgekramt. Oder man sucht sich ein paar passende Studien zusammen, um angeblich zu „beweisen“, dass es das „Patriarchat“ gar nicht gebe und Feminismus daher völlig unnötig sei. Oft beruht solche Argumentation auf Fehlern, die in der skeptischen Community eigentlich wohlbekannt sind: Auf dem naturalistischen Fehlschluss („was sich aus der Natur ergibt, ist automatisch gut und richtig“), auf Cherry-Picking und Selection Bias („ich schaue nur auf die Daten, die zu meiner These passen, die anderen ignoriere ich“).

Auf den ersten Blick mag es überzeugend wirken, wenn jemand in ein hochkomplexes soziales Streitthema handfeste, wissenschaftlich überprüfbare Argumente einbringt. Wie kann man da dagegen sein? Ist das nicht eine Chance, ideologische Streitereien mit Verstand und Wissenschaft beizulegen? Nein, eben nicht. Auch wenn wissenschaftliche Argumente für die Diskussion wichtig und wertvoll sein mögen – eine nicht-wissenschaftliche Streiterei kann man nicht mit Wissenschaft schlichten.

Wenn man das vermischt, macht man gleich einen doppelten Fehler: Man argumentiert unsauber und stellt Schlussfolgerungen als wissenschaftlich dar, die sich aus den gelieferten Fakten einfach logisch nicht ergeben. Und man beschädigt das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft – auch in jenen Bereichen, wo man offene Fragen tatsächlich auf objektive, logische Weise mit klar belegbaren Fakten beantworten könnte.

Es gibt sicher nach wie vor Leute in der GWUP, die sich nicht in ideologischen Streitereien verzetteln, sondern sich auf kluge, rationale Weise für wissenschaftliches Denken einsetzen wollen, und ich wünsche Ihnen alles Gute für dieses Vorhaben. Aber man wird in Zukunft sehr genau beobachten müssen, ob die GWUP ein Verein ist, der sich tatsächlich für rationales Denken einsetzt – oder ein Verein, der sich damit beschäftigt, ideologischen Positionen einen scheinbar wissenschaftlichen Anstrich zu verpassen.

Florian Aigner,
April 2024